schwalbe bike alpinism

Erstbefahrung. Diese Bezeichnung klingt immer noch ein bisschen eigenartig im Zusammenhang mit dem Mountainbiken, obwohl sie sich immer mehr ins Standardvokabular vorarbeitet, wenn die Rede von Bikebergsteigen, Vertriden oder wie immer man das Radfahren in alpinem Gelände nennen mag, wenn man es überhaupt benennen mag, ist. Alle Bezeichnungen haben eines gemein: sie versuchen die abenteuerliche Kombination von hochalpinem Gelände und Radfahren aus eigener Kraft zu beschreiben. Man kann leicht süchtig werden nach dieser Art des Bergsports, immer auf der Suche nach höheren Bergen, steileren und immer technischeren Wegen oder eben einfach nach Gipfeln auf denen noch niemand mit einem Bike gestanden ist, nur um eine Erstbefahrung zu machen.

http://vimeo.com/38088440

Im richtigen Bergsteigen waren Erstbesteigungen stets eine große Sache und ganz egal welchen Bergführer man aufschlägt, die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass in den allgemeinen Informationen zum Berg auch dessen Erstbesteigung festgehalten ist. Im Bikebergsteigen ist das ein bisschen anders. Tausende Wanderer und Bergsteiger haben einen Gipfel bereits erfolgreich bezwungen, wenn du selbst den höchsten Punkt eines Berges mit dem Bike auf den Schultern erreichst; und selbst, wenn du noch von niemandem gehört hast, der den Berg mit dem Fahrrad bestiegen hat, kannst du dir nie sicher sein. Zumindest habe ich noch von keinem einzigen Gipfel gehört, dessen Erstbefahrung mit einem Mountainbike in einem Bergführer oder in der heutigen Zeit auch auf Wikipedia dokumentiert ist. Es gibt einfach so viele talentierte Fahrerinnen und Fahrer ebenso wie erfahrene Einheimische, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass irgendjemand, der verrückt genug ist, sein Bike schon geschultert und auf „deinen“ Berg getragen hat; vielleicht sogar schon Jahre bevor du überhaupt begonnen hast dich für den Bikesport zu interessieren.

Ungeachtet all dessen hat die Idee einer Erstbefahrung etwas Magisches und Faszinierendes; auch wenn man sich nicht sicher sein kann, tatsächlich eine Erstbefahrung zu unternehmen, so ist es zumindest die persönliche Erstbefahrung. Vielleicht hast du einen Gipfel oder einen vielversprechenden Grat auf einem Foto gesehen, oder eine rot gepunktete Linie in einer deiner Wanderkarten hat dein Interesse geweckt. Die Neugier hat dich gepackt und du fragst dich sofort: „Ist das fahrbar?“

Was folgt, ist zeitintensive Recherche. Du studierst die Höhenschichtlinien aller Wanderkarten der Region, siehst dir jedes Bild des Berges an, das du finden kannst und liest alle Einträge von Bergsteigern die du im Internet auftreiben kannst. Ist das geschehen, nimmst du dir einen Tag frei und eine lange Autofahrt auf dich, vielleicht hast du auch deinen Urlaub extra so geplant, um zu diesem Berg zu gelangen. Du stellst deinen Wecker noch früher als an einem Arbeitstag, fährst mit dem Bike bis in den Talschluss hinein, schulterst es und wanderst bergan, während dein Fahrrad mit jeder Stunde noch unerbittlicher auf deinen Schultern lastet. Vielleicht stellst du dir während dem Anstieg sogar die Frage nach der Sinnhaftigkeit und danach, ob man den Urlaub vielleicht auch anders verleben hätte können.

Aber schließlich hast du es geschafft und stehst am Gipfel eines Berges auf dem vielleicht noch kein anderer Biker gewesen ist, bereit in die Erstbefahrung zu starten. Die gravierenden Nachteile die man hat, wenn man als potenziell Erster einen Trail befährt, sind das Unwissen über die tatsächliche Machbarkeit und darüber, ob sich all der Aufwand schließlich lohnt. Doch auch das gehört zum Abenteuer wie ich und viele andere es so sehr lieben.

All diese Gedanken gingen mir durch den Kopf als ich letzten Sommer auf einem 3.200m hohen Gipfel irgendwo in Tirol stand. Vor mir lag eine der steilsten und am meisten ausgesetzten Abfahrten, die ich je gefahren bin und hinter mir die Möglichkeit von einigen hundert Metern freier Fall. Colin und ich sahen den Gipfel als wir unser eigentliches Ziel, einen Nebengipfel etwas weiter unten erreichten und waren ganz aus dem Häuschen als sich der Hauptgipfel mit dem markanten Grat vom Gipfel hinunter bis zu den Ausläufern eines Gletschers vor uns aufbaute. Wir mussten diesen Gipfel einfach erreichen. Der Abstieg von unserem ersten Gipfel und die Querung des Schneefeldes kostete Zeit, ehrlicherweise mehr als gedacht, aber wir haben es gepackt. Und schließlich war ich am Gipfel und auf meinem Bike, bereit in die Abfahrt zu starten. Langsam und vorsichtig öffnete ich die Bremsen…

Wenn man beispielsweise auf schiefrigem Gestein fährt, hat man meist endlosen Grip, teilweise sogar unabhängig von der Feuchtigkeit und die verrücktesten Linien werden plötzlich fahrbar. Doch nicht so in diesem Fall. Die Felsen waren nicht so griffig wie ich es gehofft hatte und die Ideallinie war von den Sohlen der unzähligen Wanderschuhe der Bergsteiger poliert worden und damit unangenehm rutschig.

Ich war froh, großvolumige Reifen mit der klebrigsten Gummimischung, die Schwalbe anbietet, montiert zu haben. Ich senkte auch den Luftdruck so weit als möglich ab, um die Kontaktfläche zwischen Reifen und Felsen zu maximieren. Neben der rutschigen Oberfläche der Felsen machte mir viel loses Gestein das Leben schwer. Das lose Gesteinsmaterial in allen Größen und Formen lenkte mein Fahrrad immer wieder in unvorhergesehene Richtungen und drohte mich aus der Balance zu bringen. Langsam und mit so viel Kontrolle wie es eben möglich war fuhr ich eine steile Sektion nach der anderen. Colin folgte mir oder eilte mir voraus, stets bewaffnet mit seiner Videokamera um das Geschehen einzufangen.

Endlich konnte ich den letzten Abschnitt des Grates hinter mir lassen und erreichte den obersten Teil des Gletschers. Im Vergleich zu den ausgesetzten Stellen des felsigen Berggrates war das hinunterrutschen über den Gletscher das reinste Vergnügen. Bald erreichten wir die Querung über die wir den Gletscher passiert hatten und gelangten zurück auf unseren ersten Gipfel des Tages. Ich wusste, dass es noch ein langer und anstrengender Weg zurück ins Tal sein würde, aber ich war glücklich über meine sichere Abfahrt von dem Gipfel, den vielleicht noch kein anderer Biker befahren hat.

Video und Fotos: Colin Stewart

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